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Die Neurobiologie der Aggression: Soziale Ausgrenzung führt zu globalen Gewaltspiralen!

Neurobiologisch betrachtet ist soziale Ausgrenzung der Ursprung von Aggression und globaler Gewalt. Dies nimmt seinen Lauf in kleinen Gruppen und setzt sich auf gesellschaftlicher Ebene fort. Doch viele Menschen und Politiker sehen Aggression leider nach wie vor als Trieb und berufen sich dabei auf Konrad Lorenz´s Aggressions-Triebs-Hypothese. Einer niemals wissenschaftlichen belegten wilden Behauptung, mit welcher nicht nur die Nazis ihre Kriegsverbrechen rechtfertigten, sondern auch Politiker Minderheiten Aggression und kulturelle Kriminalität unterstellen. Im folgenden Beitrag erfährst du nähere Hintergründe über den überholten und falschen Aggressionstrieb und über darüber, wie Aggression durch soziale Ausgrenzung erzeugt wird.

 

Der Irrtum mit dem “Aggressionstrieb von Konrad Lorenz”

Zugegeben, Konrad Lorenz hat schon ein paar wertvolle Forschungserkenntnisse (z.B. Prinzip der Prägung; Zoologie; Medizinnobelpreis) gesammelt. Doch mit seiner in der NS-Zeit festen Überzeugung, menschliche Aggression sei ein Trieb, welcher der “natürlichen Selektion” diene, fütterte er die Ideologien der Nazis und Kriegstreiber. Lorenz “begründete” gesellschaftliche Konflikte, Waffenproduktion und militante Gewalt mit dem “natürlichen Aggressionstrieb” des Menschen. Frei nach dem Motto: “Die Nazis können ja nichts dafür, dass sie ihre Triebe ausleben müssen.”

Den Nazis und Kriegstreibern empfingen diese Theorie damals mit offenen Armen. Immerhin war der “Aggressionstrieb” zu seiner Zeit auch ein gesellschaftspolitisches Argument um deren Kriegsverbrechen und den Holocaust “wissenschaftlich” zu rechtfertigen. Zynischerweise, hatte Lorenz selbst keinerlei wissenschaftliche Belege für seine Theorie. Die Aggressionstriebs-Hypothese ist und bleibt insofern eine ideologisch motivierte wilde Behauptung, für die es keinerlei Grundlage gibt. Was den Kriegsherren sicherlich “blunzn” ist, solange es deren Zwecken dienlich sei. Also wer noch den “Aggressionstrieb” von Lorenz zitiert, ist entweder nicht ausreichend informiert ODER verfolgt bedenkliche ideologische Interessen.

 

Die Aggressionstriebs-Hypothese war politisch motiviert

–> Zitat – Quelle Wikipedia: Am 28. Juni 1938 – wenige Wochen nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 – stellte Konrad Lorenz einen Antrag auf Aufnahme in die NSDAP. In diesem Aufnahmegesuch bestätigte er die Stellungnahmen der Gutachter seines Forschungsantrags an die „Notgemeinschaft“ und vermerkte handschriftlich:

Konrad Lorenz

 „Ich war als Deutschdenkender und Naturwissenschaftler selbstverständlich immer Nationalsozialist und aus weltanschaulichen Gründen erbitterter Feind des schwarzen Regimes (nie gespendet oder geflaggt) und hatte wegen dieser auch aus meinen Arbeiten hervorgehenden Einstellung Schwierigkeiten mit der Erlangung der Dozentur. Ich habe unter Wissenschaftlern und vor allem Studenten eine wirklich erfolgreiche Werbetätigkeit entfaltet, schon lange vor dem Umbruch war es mir gelungen, sozialistischen Studenten die biologische Unmöglichkeit des Marxismus zu beweisen und sie zum Nationalsozialismus zu bekehren.”

“Auf meinen vielen Kongreß- und Vortragsreisen habe ich immer und überall mit aller Macht getrachtet, den Lügen der jüdisch-internationalen Presse über die angebliche Beliebtheit Schuschniggs und über die angebliche Vergewaltigung Österreichs durch den Nationalsozialismus mit zwingenden Beweisen entgegenzutreten. Dasselbe habe ich allen ausländischen Arbeitsgästen auf meiner Forschungsstelle in Altenberg gegenüber getan. Schließlich darf ich wohl sagen, daß meine ganze wissenschaftliche Lebensarbeit, in der stammesgeschichtliche, rassenkundliche und sozialpsychologische Fragen im Vordergrund stehen, im Dienste Nationalsozialistischen Denkens steht!“

Vor allem der letzte Satz von Lorenz zeigt eindrucksvoll, dass er seine Forschung NICHT auf wissenschaftlichen Kriterien aufbaute, sondern seine “Theorien” zugunsten des NS-Regimes adaptierte.

Wer sich näher für die wissenschaftliche Entlarvung der Aggressionstriebs-Hypothese interessiert, dem lege ich die Lektüren “Lernfall Aggression” von Nolting sowie “Schmerzgrenze – Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt” vom renommierten Neurobiologen Joachim Bauer nahe. Doch folgend möchte ich darauf eingehen, welche die moderne Neurobiologie zum Thema Aggression parat hat:

 

Soziale Ausgrenzung als Aggressionsmotor

Ausgrenzung: Aggression und menschliches Gehirn

Wenn Aggression also kein Trieb ist, was macht dann den Menschen aggressiv? Dem Neurobiologen J. Bauer zufolge führt soziale Ausgrenzung zu Aggression. Zunächst ist soziale Zugehörigkeit ein primäres menschliches Grundbedürfnis. Dazu zählen z.B. soziale Unterstützung, Bindung, Vertrauen, Fairness, Anerkennung und Gerechtigkeit. DANACH STREBT DER MENSCH.

Der Mensch strebt nicht nur nach diesen Bedürfnissen, sondern möchte diese auch für sich selbst und für andere Gruppenmitglieder schützen und prosozial aktiv sein. Wenn nun jemand innerhalb der Gruppe oder außerhalb der Gruppe das Bedürfnis nach sozialer Zugehörigkeit sabotiert (hierbei spielt es zunächst keine Rolle ob dies beabsichtigt oder unbeabsichtigt geschieht) wird dies von einer betroffenen Person als schmerzhaft wahrgenommen. Dieser “soziale Schmerz” wird durch Ausgrenzung aktiviert und wirkt in den selben Schmerzzentren (im Gehirn) wie körperlich zugefügter Schmerz. Sobald eine “Schmerzgrenze” übertreten wird, aktivieren körperlich zugefügter Schmerz (z.B. Kampf, Folter, Alltagsgewalt,…) oder soziale Ausgrenzung den Aggressionsapparat (auch im Gehirn). Dieses neuronale Aggressionssystem hat jene Funktion, die soziale Zugehörigkeit (also Bindung, Fairness, Gerechtigkeit, usw.) wieder herzustellen. Auf Gruppenebene sind weitere Demütigungen, Misstrauen, weitere sabotierte Bindungen/Beziehungen und verletzte Ehre die Folge.

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Fatalerweise wirkt hierbei noch der psychologische Mechanismus der Aggressionsverschiebung. Ausgangssituation dabei ist folgende: Wenn die Aggression nicht direkt gegen den Aggressor (z.B. mobbender Vorgesetzter, körperlich überlegener gewalttätiger Ehemann/Frau, Folterknecht,…) oder eine Sanktion gegen den sozialen Ausgrenzer (beim Mobbing sind die tatsächlichen Strippenzieher oft unbekannt) erfolgen kann, dann kommt es zur Aggressionsverschiebung. Dies bedeutet, dass die “aktivierte Aggression” an oft unbeteiligten (meist schwächeren) Menschen oder Gruppen ausgelebt wird. Ohne dass dies irgendeinen Nutzen hat!!! Auf gesellschaftlicher Ebene erfolgt diese soziale Ausgrenzung nicht zufällig an sozialen Minderheiten.

Dieser Mechanismus ist sozusagen die neuronale Grundlage von Gewaltspiralen. Folgend setzt sich dieser auf Beziehungsebene, Gruppenebene und gesellschaftlicher Ebene fort. Auf Aggression folgt Aggression und Gewalt. Darauf erfolgt noch mehr Gewalt. Die Spirale setzt sich fort und führt im schlimmsten Fall zu “globaler Gewalt”. Und alles beginnt bei SOZIALER AUSGRENZUNG.

 

Gesellschaftliche Konsequenzen sozial aggressiver Kommunikation

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Die Ausgrenzung von Minderheiten hatten wir bereits im großen Stil. Dieses Phänomen ist auch noch im Jahr 2018 zu beobachten.

Auf gesellschaftlicher Ebene ist es daher besonders von Bedeutung darauf zu achten, dass Minderheiten nicht pauschal ausgegrenzt werden. So manche Politiker polemisieren gerne gegen Ausländer und Minderheiten mit der Argumentation, dass diese “gewalttätig” und “kriminell” seien. Dabei führt ausgerechnet dieser gesellschaftspolitische kommunikative Stil zu Misstrauen, Demütigungen, Verletzung persönlicher Ehre oder zu auseinanderbrechenden zwischenmenschlichen Beziehungen. Die darauffolgende gegenseitige Distanzierung führt zu einer Verschärfung sozialer Ausgrenzung im großen Stil. Doch genau diese soziale Ausgrenzung führt – wie oben auf neuronalen Grundlagen beschrieben – zu Aggression und kollektiver Aggressionsverschiebung. Rechtspopulistische Politiker machen letztlich ihre EIGENE selbsterfüllende Prophezeiung wahr und feiern sich frei nach dem Motto: “Seht ihr, wir haben es euch ja von Anfang an gesagt!

Bezogen auf die vorhin beschriebenen Mechanismen also Ausgrenzung KEINE Lösung, sondern verstärkt Gewaltspiralen nur unnötig. Vielmehr führt das Erfüllen des motivationalen Grundbedürfnisses nach sozialer Zugehörigkeit (Bindung, Fairness, Gerechtigkeit, Vertrauen und Anerkennung) zu einer ENT-Schärfung der Aggressionsspirale. Wie ich vor einiger Zeit auch bereits im Artikel “Der Ursprung unserer Moral” beschrieben habe, führt auch räumliche und persönliche Nähe zu mehr Vertrauen und einer gerechteren moralischen Beurteilung.

Klingt doch eigentlich ganz logisch mit gesundem Hausverstand, oder? Dies ist sogar noch wissenschaftlich fundiert!

 

Mehr Miteinander!

Schaffen wir eine bunte Welt des Miteinanders!
Miteinander statt gegeneinander!

Ich möchte mit diesem Artikel keine Tipps geben, wie man soziale Zugehörigkeit schaffen kann oder positive Beziehungen gestaltet. Vielmehr möchte ich DICH dazu einladen im Kommentarfeld deine Meinung zu folgenden beiden Fragen kundzutun:

1) Weshalb wird soziale Ausgrenzung gesellschaftspolitisch betrieben?

2) Was kann jeder einzelne tun um sozialer Ausgrenzung zu entgegnen?

 

Ausgrenzung vermeiden, aber wie?

Die beste Prävention zur Ausgrenzung ist die Integration von Gruppenmitgliedern in die Gruppe bzw. Gesellschaft. Selbstverständlich kann es in diesem Prozess auch zu Konflikten aufgrund von Unterschieden der persönlichen Meinung, Werten oder des innewohnenden Ethos kommen. Umso wichtiger ist es Hürden und Schranken abzubauen, bereits vorhandene Konflikte sichtbar zu machen um sie anschließend sachlich zu thematisieren und falls möglich zu lösen. Eine sanfte Variante zur Gruppenstärkung sind auch meine Trainings und Workshops zum Teambuilding. Diese kann ich als Einstieg für alle Gruppen empfehlen.

 

Verwendete Literatur:

Bauer, J. (2011). Schmerzgrenze (1st ed.). München: Blessing.

Crick, N.R. & Grotpeter, J.K. (1995). Relational aggression, Gender, and Social-Psychological Adjustment. Child Development, 66, 710-722.

Nolting, H. (2011). Lernfall Aggression (1st ed.). Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

Wikipedia (2016). Konrad Lorenz. Zugriff am 3.Dezember 2016 unter https://de.wikipedia.org/wiki/Konrad_Lorenz.

Zimmer-Gembeck, M., Geiger, T. & Crick, N. (2005). Relational and Physical aggression, Prosocial behavior, and Peer Relations: Gender Moderation and Bidirectional Associations. The Journal of Early Adolescence, 25(4), 421-452.

 

Mario Schuster

Mario Schuster ist Arbeits- und Sportpsychologe sowie zertifizierter Mentaltrainer im Leistungssport. Zudem ist er ein praxiserfahrener Sportwissenschafter und hat am 1.Jänner 2017 das Unternehmen Mental Synergy gegründet. Mit diesem hat er sich zum Ziel gesetzt, das Training mentaler Kompetenzen in Sport und Wirtschaft zu etablieren.

3 thoughts on “Die Neurobiologie der Aggression: Soziale Ausgrenzung führt zu globalen Gewaltspiralen!

  • Lieber Daniel,

    vielen Dank für deinen offenen und sehr wertvollen Beitrag. Besser hätte ich es wohl selbst nicht ausdrücken können. Du hättest sicher das Zeug zum Blogger. 🙂

    liebe Grüße,

    Mario

    Antwort
  • 1. Weshalb wird soziale Ausgrenzung gesellschaftspolitisch betrieben?

    In dem Moment, wo ich mich selber von bestimmten Gruppen abgrenze, stärkt das meine Verbindung zu meiner sozialen Gruppe, erhöhe ich meinen Status durch die Abwertung anderer und schaffe einen gemeinsamen Feind, dem es entgegenzutreten gilt.

    2) Was kann jeder einzelne tun um sozialer Ausgrenzung zu entgegnen

    Dieses Wissen um die Mechanismen von sozialer Ausgrenzung mit anderen Menschen teilen, Vorbild für das eigene Umfeld sein, bedingungslos lieben und geben, Fremde(s) bewusst involvieren, die eigene Komfortzone verlassen und über den Tellerrand schauen, sich einlassen, interessieren und jede Begegnung als Bereicherung empfinden, so im Kleinen die Welt zu einem besseren Ort zu machen.

    Antwort

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